Gespräch
Till Finger.: Zwei große Skulpturen dominieren den Raum im Forum Kunst-Rottweil, ein grün leuchtender Quader aus Glas und ein weißhell changierender aus Wachs; beide Arbeiten sind aus zahlreichen kubischen Elementen gefügt. Die oberen Teile der beiden etwa gleich großen Skulpturen hängen jeweils von der hohen Decke. Die Form des grünen Blocks wird von seinem hängenden Teil oben kompakt geschlossen, während die weißliche Wachsskulptur sich nach oben hin auflöst, d.h., die hängenden Blöcke sind mit Flaschenzügen z.T. bis fast unter die Decke gezogen. Oben in Höhe der obersten Blöcke hängen an den drei Raumwänden drei Eselsköpfe aus Kleidung und Gepäck und anderen Reiseutensilien. Sie schauen auf die Szene hinunter. Soweit mein erster Eindruck. Ist es Zufall, dass ausgerechnet hier in Rottweil Eselsköpfe zu sehen sind?
Walter Kütz: Die Rottweiler dürfen sich gerne angesprochen fühlen, die Eselsköpfe, die hier runter gucken, gab es zwar schon, bevor ich von der Rottweiler Geschichte härte, aber es gab ja auch schon Esel, bevor es Rottweiler gab.
T.F.: Sind das einzelne, eigenständige Arbeiten oder ist das hier eine Art Installation?
W.K.: Alle Skulpturen, die grüne "Probesitzen im hortus conclusus", die Wachsarbeit "Das Eismeer (Die gescheiterte Hoffnung)" und auch die Eselsköpfe, sind selbständig. Natürlich gibt es starke Bezüge. Die Wahl der Materialien und die Art und Weise, wie ich mit ihnen umgehe, steht ja bei allen Arbeiten in einem ganz bestimmten Verhältnis zum Sujet. Insofern bilden sie eher ein Ensemble.
T.F.: Hier der umfriedete Garten als leuchtender Kristall, da das "Ewige Eis", dort der Esel als Lasttier: Das sind symbolisch aufgeladene, mythologische Sujets, die mit rationalen, bildhauerischen Verfahren und zeitgenössischen Mitteln in Form gebracht werden. Den Materialien gemeinsam ist das Alltägliche und Gewöhnliche, das im starken Kontrast zur Symbolik der Arbeiten steht.
W.K.: Ja, der grüne Kristallquader ist aus Aquarien, Wasserwaagen, Tisch, Stuhl, Spint, Erde und Moosen aufgebaut. Für die andere Arbeit, das "Eismeer", habe ich Kühltruhen und Eisschränke mit Wachs ausgegossen. Die Eselsköpfe sind aus abgelegten Jacken, Hosen, Schuhen, Plastiksäcken und Reisetaschen gemacht. Gemeinsam ist allen Arbeiten, wie mit dem Material verfahren wird. Einerseits forme ich ganz klassisch, also bilde, haue, knautsche mimetisch nach einem Vorbild, andererseits halte ich meinen Formwillen in ganz bestimmten Grenzen, so dass die Selbsttätigkeit des Materials wirken kann. Das Selbstverhalten des Materials in den Formprozess mit einzubeziehen macht die Arbeit im Ergebnis offener, z.B. die Falten, Knicke des unter Stress gesetzten Stoffs der Hose beim Eselskopf oder beim "Eismeer" das unberechenbare Spaltverhalten des Wachses und wie es sich beim Abkühlen verformt, mal opak und mal transparent wird. [ ... ]
T.F.: Der Titel der Wachsarbeit verweist direkt auf C.D. Friedrichs "Das Eismeer (Gescheiterte Hoffnung)". Ein Bild als Vorlage für eine Skulptur?
W.K.: Hier war die Frage: Wie kann ich das Motiv, ohne illustrativ und literarisch zu werden, in eine plastische Form bringen? Wie kann ich eine vermeintlich unzeitgemäße und romantische Chiffre wie das "Eismeer", das "Ewige Eis", in einer Skulptur mit dem urbanen, banalen Alltag verbinden, ohne den Ernst des Sujets zu denunzieren? Die Kühltruhe, das Eisfach sind ja sozusagen die zivilisatorischen Nachfahren des "Ewigen Eises", so wie Bettgestell und Flaschenzüge die Wiedergänger von Schiffswrack und Takelage sein könnten.
T.F.: Da fällt mir das Novalis-Zitat ein, wonach ich romantisiere, indem ich dem "Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen gebe".
W.K.: Ja, in diesem Sinne bin ich Romantiker. Damit meine ich aber ausdrücklich nicht den verkürzten Romantikbegriff, der in vielen zeitgenössischen Köpfen steckt. Es geht nicht etwa um Weltflucht und Rückwärtsgewandtheit, es geht mir darum, aus dem Alltäglichen Funken zu schlagen, der etwas darüberhinaus gehendes zum Vorschein bringt.
T.F.: Physisch, rein skulptural ist hier die Balance zwischen der Schwere, dem Lasten, dem Hängen und Sinken und der Leichtigkeit des Steigens und Schwebens thematisiert. Die prekäre Balance ist auch in der Arbeit "Probesitzen im hortus conclusus" evident: Die oberen Glasbecken hängen hier an Klebeband wie am sprichwörtlichen seidenen Faden, viele Gläser sind mit Wasserwaagen unterlegt. Dann entdecke ich Worte, Buchstaben oder womöglich Texte?
W.K.: Ja, das sind Texte, die ich in die Innenseiten der Glaswände geätzt, graviert habe, als die Becken noch in einer langen Reihe aneinander gestellt waren. Diese Texte als Wortreihen sind danach durch die Aufschichtung und das Hochbauen zu einem vertikalen Quader durcheinander gewürfelt worden. Sie sind jetzt also nur noch in minutiöser Puzzle-Arbeit in Gänze wieder lesbar. Die Moose, die nun langsam in die Buchstabenhöhlungen hineinwachsen, erzählen von einem langen beharrlichen Zeitfluss, von einer wuchernden Kraft, die durch die Kanten der Glasbecken gestaucht und parzelliert wird. Umwelt, also das Draußen ist hier drinnen und das Interieur wie Stuhl, Tisch, Spind und Leselampe stehen draußen, im gläsernen Garten, dem hortus conclusus. Als etwas, das nur außerhalb von mir ist, kann ich Natur nicht begreifen. Wir blicken hier in unseren eigenen Stoffwechsel. Der aus sich leuchtende Kristall ist ja ein Paradox, denn der Kristall reflektiert oder bündelt das Licht ja nur, während der leuchtende Kristall die Energie mit der Form vereint, Chiffre ist für das Geistige. Der einzige Zugang zum lnneren, der nicht durch das Glas verwehrt ist, ist die ovale Klappe, hier öffnet sich der Raum auch körperlich, es gluckert, es duftet ...
Auszüge aus einem Gespräch mit Walter Kütz und Till Finger vom 21.08.2011 im Forum Kunst Rottweil